Von Perchten und Eismarillenknödel. Zur Österreichischen Identität in Dungeons of Hinterberg (Autoludographie #09)

von Eugen Pfister

Dungeons of Hinterberg ist ein Action RPG und erschien im Juli 2024 für Xbox und Windows, knapp ein Jahr später auch für die Playstation. Das Spiel hat nicht nur eine aussergewöhnliche Ästhetik – bei der ich mich zum Beispiel noch immer nicht entscheiden konnte, ob sie mir gefällt oder nicht – sondern auch ein aussergewöhnliches Setting. Es spielt nämlich in den österreichischen Alpen in einem Tourismusort, der sehr stark an Salzburger Skitourismusorte gemahnt. Es finden sich zwar Seilbahnen und Sessellifte, anstatt der Skipisten aber ziehen Dungeons voller mythischer Monster hier die Touristenmassen an. Diese werden geschickt vom örtlichen Tourismusbüro kanalisiert und kontrolliert. Statt Skiern borgt man sich aber Breitschwerter aus, bzw. kauft man diese in der örtlichen Intersport-Variante. Ich habe Hinterberg zum ersten Mal im August 2024 betreten. Den Ort kannte ich aber schon lange davor. Im Standard wurde nämlich spätestens seit 2023 regelmässig über das junge Wiener Studio Microbird und sein aussergewöhnliches Rollenspiel geschrieben. Als junge Wiener Jus-Studentin erreiche ich das idyllisch an einem See gelegene Bergdorf Hinterberg, dass für Österreicher*innen schon aufgrund der typischen nicht unbedingt hübschen Skitourismusarchitektur sofort geographisch eingeordnet werden kann. Die ersten zwei Stockwerke quasi jeden Hauses sind verputzt und meist blassrosa oder gelb gestrichen, dazu  von Pelargonien überwucherte Balkone. Hölzerne Fensterläden. Ein abschliessendes Dachstockwerk ganz aus Holz. Man kennt sich aus. Salzkammergut!   Wir werden von einer Wirtin – uniformiert in Tracht – begrüsst. Besonders schönes Detail: die abstrusen Holzscheit-„Kunstwerke“ vor der Eingangstür.

Wir machen uns dann auf dem Weg zum Tourismusbüro. Kurz darauf werden wir auch schon vom freundlich kernigen Alpinisten Klaus in den ersten Einsteiger-Dungeon, an der Kaiserin Sisi Promenade eingeführt. Es ist ein Detail, aber das Kaiserin Elisabeth hier korrekt „Sisi“ geschrieben wird kann als Indiz dafür gelesen werden, dass es den Entwickler*innen ein Anliegen war sich ernsthaft mit einer österreichischen Identität auseinanderzusetzen.

Am ersten Dungeon aber wäre ich fast gescheitert.  Zum einen hatte ich – wie auch später immer wieder – meine Schwierigkeiten mich in der sehr knallig bunten Welt zu orientieren.  Zudem erschienen mir die einfachen Kämpfe am Anfang wenig interessant und von der Geschichte hatte ich noch zu wenig gesehen. Ich verliess fürs erste Hinterberg und sollte erst vier Monate später wieder zurückkehren. Zum Glück! Mir hatte einfach der erste echte Dungeon gefehlt. Sobald ich aber in meinem ersten Tourismusgebiet, dem Doberkogel – meiner Meinung nach übrigens das hübscheste Gebiet – umherstreifen durfte, war ich begeistert.

Vor allem nachdem ich kapiert hatte, dass Hinterberg für mich eigentlich gar kein Action RPG ist, sondern ein Puzzlespiel mit viel menschlichen Interaktionen. Das sind für mich die zwei grossen Stärken des Spiels. Mit Alex, einem anderen Pensionsgast, wurde ich zwar nie warm, dafür aber mit dem verschrobenen Geisteswissenschaftler Albert, mit dem ich über alpine Mythologie und die Kulturgeschichte des Knödels plauderte. Den arroganten französischen Meisterabenteurer Renaud mochte ich auch von Anfang an ebenso wie die fadisierte Dorfjugend – Thea und David Bei der hab ich mich ganz besonders bemüht. . Ah ja und die übermotivierte Marina mochte ich auch von Anfang, bzw. fühlte ich mich ein wenig für sie verantwortlich.

Und so ganz nebenbei bemüht sich das Spiel sehr gekonnt einer Darstellung Österreichs gerecht zu werden. Auf struktureller Ebene geht es da um das ewige Dilemma der Tourismusregionen, die vom Tourismus leben der zugleich Ihre Landschaft und kulturelle Identität zu zerstören droht. Überhaupt geht es sehr viel um österreichische Identität. Da wäre zum einen der eine grosse einende Identifikationsmoment: die Küche, die im Spiel auf mehreren Ebenen so wichtig ist. So treffen wir die meisten unserer Freund*innen und Bekannten im Wirtshaus, im Café – das übrigens das Design der bekannten und mittlerweile auch wieder hippen Aida-Kette zitiert – und im Eissalon. Seine Lebensenergie füllt man mit Leberkässemmeln, die Magie mit MANA-Schnitten. In den Gesprächen werden nebenbei Eismarillenknödel und Tafelspitz gegessen (meiner Ansicht nach ein Hinweis auf den Wiener Hintergrund der Entwickler*innen). Man is(s)t zuhause als Österreicher*in.

Das Spiel bedient dabei durchaus Stereotypen: Gertrude, die reiche Bourgeoise/Aristokratin die stur jedes Jahr auf Sommerfrische ins Grand Hotel fährt und gerne hätte, dass sich hier auch bitteschön nichts verändert. Theresa, die stets freundliche Wirtin, dessen penibel hochgesteckte Frisur, wahrscheinlich auch nach einem Erdbeben nicht verrutscht. Die Freundlichkeit wirkt genuin, man spürt aber auch ein leicht chronisches Burnout. Der naturverbundene gutmütige Alpinist Klaus, der in seiner Freizeit die Natur aufräumen geht. Der larmoyante Photograph aus Wien. Usw. Die Stereotypen erfüllen alle eine Funktion und sind vor allem nie oberflächlich oder eindimensional. Sie referenzieren auch bekannte mediale österreichspezifische Topoi.  Selbst Bürgermeisterin Wagner hat irgendwie nachvollziehbare Motive. Doch zu ihr später.

Es ist angesichts des vorherrschenden Diskurses zu Games, nachvollziehbar, dass die Entwickler*innen erklärt haben: “We didn’t want to make a political statement,”  und “We wanted to show a real place.”  Tatsächlich zeigt sich schon im selben Interview beim Vergleich ist beim Zeigen eines „real place“ unpolitisch zu bleiben.

Da wäre zum eindeutigen eine eindeutige Aussage zum Umweltschutz. Die Magie, die einst frei die Welt durchzog und so im Gleichgewicht mit der Natur stand, wird in Hinterberg von den Menschen nicht nur wie Flüsse in Bahnen gelenkt, sie wird kontrolliert und soll künstlich in einem geheimen Labor hergestellt werden. Die riesigen Rohre die regelmässig im Geheimen Unmengen schwarzen Schleims in den See von Hinterberg pumpen sind hier Statement. Auch der sympathische Umweltschützer Klaus ebenso wie die junge aufmüpfige Teenagerin Thea, die gemeinsam mit der Protagonistin Luisa der örtlichen Umweltkriminalität auf den Grund gehen will transportieren diese Aussage. Und da wären dann noch die regelmässigen Erdbeben und gigantische Schleimtentakel als Folgen zu spüren und zu sehen.

Dann wäre da auch die Frage des Massentourismus, die im Spiel sehr vorsichtig und vielschichtig angegangen wird. Zum einen gibt es viele Personen, die unter dem Ansturm an Tourist*innen-Massen gefühlt oder tatsächlich leiden, vor allem die Jugend vor Ort. Zugleich wird aber auch klargestellt, dass der Tourismus die wirtschaftliche Grundlage der gesamten Umgebung ist. Ohne ihn hätte nicht nur Julian, der nicht ganz so sympathische Benko-Verschnitt des Ortes keinen Erfolg mehr, sondern eben auch unsere sympathische Wirtin Theresa. Als Sprachrohr der „Wirtschaft“ versteht sich die Bürgermeisterin Wagner.

Ihre politische Zugehörigkeit wird zwar nicht genannt, aber ist für alle Österreicher*innen schon allein de äusserlichen Anleihen an Landeshauptfrau Mikl-Leitner klar erkennbar. Wagner steht für die Interessen der Wirtschaft, insofern glaubt sie – hier den Idealen der ÖVP treu – auch in den Interessen der Gemeinschaft zu handeln. Ohne Magie kein Tourismus – ohne Tourismus keine wirtschaftliche Grundlage für das Bestehen Hinterbergs. Ich finde es sehr gut, dass hier die Entwickler*innen nicht den einfachen Weg gegangen sind und die Bürgermeisterin als eindimensionalen Bösewicht karikiert haben. Wagner kriegt Gelegenheit ihren Standpunkt darzulegen und handelt zudem nicht egoistisch. Sie wird entsprechend sogar vom orstansässigen Teenager David (Sams bester Freund) als guter Mensch dargestellt. Sie handelt aber eigenmächtig und ist bereit einiges an Kollateralschaden für ihre Ziele in Kauf zu nehmen. Sie handelt schließlich undemokratisch.

Ich würde ja argumentieren, dass das Spiel all diese politischen Inhalte ganz dringend braucht. Ohne sie wäre es beliebig und ich hätte es jetzt schon wieder vergessen. Zudem gehören diese oft widersprüchlichen politischen Aussagen zur österreichischen Identität wie der Herr Karl und Braunschlag. Felix Mitterer war da in seiner – ähnliche Themen behandelnden – „Piefke-Saga“ weitaus brutaler und rücksichtsloser und allen die den 3 bzw 4teilige Filmserie nicht kennen, möchte ich sie dringend empfehlen. Das Spiel zeichnet sich durch eine sehr überlegte fast schon fürsorgliche Auseinandersetzung mit Österreich als kollektiver Identität auseinander und das wird auch von der internationalen Presse so hervorgehoben. Das Spiel sei eben „apparently, really Austrian.“ Und Österreich ist eben nicht nur Alpenblick und Sisi-Promenade, es ist nicht nur Tafelspitz und Eismarillenknödel. Es ist auch Benko und Mikl-Leitner. So, die Perchten aus dem Titel hab ich jetzt vergessen, aber die wären auch ein schönes Thema.

Alle Bilder: Screenshots von Eugen Pfister


Empfohlene Zitierweise : Eugen Pfister: “Von Perchten und Eismarillenknödel. Zur Österreichischen Identität in Dungeons of Hinterberg (Autoludographie #09)” in: Spiel-Kultur-Wissenschaften, <http://spielkult.hypotheses.org/7790> 21.03.2024

 


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Eugen Pfister (21. März 2025). Von Perchten und Eismarillenknödel. Zur Österreichischen Identität in Dungeons of Hinterberg (Autoludographie #09). Spiel-Kultur-Wissenschaft. Abgerufen am 18. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13jcr


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